Redebeitrag zum ‚verbotenen Hoffest‘ im Wedding am 07.06.2018

Das Haus hat mir den Raum gegeben, mein Zuhause aufzubauen. Das ist eine wichtige Veränderung in meinem Leben, das zuvor von einem selbstgewählten Nomadendasein geprägt war. Wurzeln zu schlagen, hier an diesem Ort, an dem meine Mutter in den Kriegsruinen als Kind rumgetollt ist bevor die Familie in den Sechzigern nach Köln zog, bedeutet mir als Halbwaise viel. Unser Haus steht nicht nur in Berlin, es steht im Wedding, und zwar im Herzen vom Wedding.

Obwohl die Verschiedenheit seiner Bewohner*innen sich von der unserer Nachbarhäuser unterscheiden mag, so sind es genau meine Nachbar*innen im Haus und um dieses herum, die mich jeden Tag gern nach Hause kommen lassen. Wo sonst in Berlin, oder einer anderen Großstadt auf dieser Welt, könnte ich bedenkenlos die Wohnungstür angelehnt lassen, während ich auf einen Plausch bei Nachbar*innen bin oder unten Schrippen hole?

Genau dieses Leben wird manchmal mit abstrakten Begriffen wie ‘solidarisches Zusammenleben’ beschreiben und es wird für hochpolitisch gehalten. Und auf eine Weise ist das für mich der Fall, denn in meinem sehr individualisierten Leben bin ich nur in Teilen glücklich geworden. Gemeinschaft ist für soziale Wesen wie mich und dich von existenziellem Wert. Und dieses Haus, vielfältig wie es ist, bewohnt von Studierenden über Familien zu Rentner*innen, von Gärtner*innen über Musiker*innen zu Freaks wie mir, ist eine Gemeinschaft.

Durch das, was wir uns tagtäglich guttun, sind wir nicht nur alle glücklicher, wir sind gesünder, wir sind sicherer und, wer‘s so sehen will, sind wir eine gesellschaftliche Quelle.

Diese Gemeinschaft nun dem sicheren Verfall zu überlassen wird diese Quelle zum Versiegen bringen. Denn nichts anderes wird passieren, falls die Dinge ihrem Lauf überlassen werden. Wir werden damit unglücklicher, kränker und unsicherer hinterlassen. Der Schaden wird über das Haus hinaus groß sein. Und ebenso wenig habe ich Zweifel daran, dass der neue Eigentümer die Kosten nicht tragen, nicht einmal mittragen würde, falls unser Haus die Grundsteuer umgehend an anonyme Investoren verhökert werden sollte.

Wenn Politik nicht dafür da ist, solche lokalen Katastrophen zu verhindern und regulierend einzugreifen, wofür und für wen ist sie da? Wem also der Begriff des ‚solidarischen Zusammenlebens‘ zu radikal klingt, der und die mögen sich ausmalen, welch radikale Schlüsse sechzig von Grund auf erschütterte Bewohner*innen ziehen könnten und wohl auch ziehen werden.

Amma65 hat dieser Gemeinschaft, dieser Quelle, ein Becken gegeben, in das sie sprudeln kann. Eine Quelle ohne Becken verläuft sich und ihr Wasser wird untrinkbar. Wir würden verdrängt werden und wir würden uns verlaufen. Wir wären unglücklich. Krank. Unsicher.

Man kann Herrn Mähren durchaus Respekt zollen. Er hat mit eigener Energie und viel Arbeit das aufgebaut, was er sich erträumt hat. Er hat für sich und seine Familie Auskommen für heute und bis ins Rentenalter geschaffen. Darüberhinaus, so scheint es mir, akkumuliert er Luxus.

Könnten wir das Haus kaufen, so hätte jede*r einzelne von uns einen Teil davon ebenfalls erreicht, die Sicherheit bis ins Alter hier wohnen zu können. Was wiegt also mehr: die Absicherung von sechzig oder der Luxus eines einzelnen? An der Antwort auf diese ganz konkrete Gerechtigkeitsfrage wird sich viel entscheiden – sechzig Mal und sechzig mal X im Wedding und in Berlin.